Adventskalender Türchen 18
Lila
18.12.2025
Ich lächle, seit ich heute Morgen aufgewacht bin. Meine Eltern haben mich gebeten, ihnen zu helfen, und so sitze ich in der Galerie. Sortiere Rahmen und darunter sind die, die Tucker letzte Woche vorbeigebracht hat. Das lässt mich noch breiter lächeln. Schon die ganze Zeit denke ich an gestern.
An unseren Kuss.
An die Worte, die Tucker ausgesprochen hat, vor denen ich zurückgeschreckt bin. Dich. Mich. Uns.
Die Art, wie er mich angesehen hat, als ich gesagt habe, dass ich glücklich bin. Als hätte ich ihm das allergrößte Geschenk gemacht, was möglich ist.
Ich lasse meine Hand zu meinen Lippen wandern und fahre mit dem Finger darüber, als würde ich den Kuss noch spüren.
Vielleicht kann ich das sogar.
»Lila?« Ich zucke zusammen. Mom sieht mich fragend an. »Wo bist du nur mit deinen Gedanken?« Als ich nicht gleich antworte, lächelt sie wissend. »Du strahlst schon den ganzen Tag«, fährt sie fort.
»Ja?« Ich beiße mir auf die Lippe, aber ich weiß genau, dass das Lächeln immer noch da ist.
»O ja.«
»Ach nein, du musst dich vertun«, wiegele ich ab, weil ich weiß, was daraus sonst entsteht.
»Doch. Tust du.« Sie kommt näher und setzt sich zu mir. »Hat das vielleicht mit einem gewissen Schreiner zu tun, bei dem du die vorletzte Nacht verbracht hast?«
Hitze schießt mir in die Wangen.
»Mom …«
»Ich frage ja nur.« Sie lacht leise. »Aber ich sehe es dir an, Zuckerfee. Das erste Mal, seit du wieder in Silver Pines aufgetaucht bist, siehst du richtig glücklich aus. So habe ich dich zuletzt …« Sie bricht ab und schüttelt den Kopf.
»Was, Mom?«
»Na ja, ich weiß nicht, ob ich …«
»Sag es ruhig.« Ich lege meine Hand auf ihre. »So glücklich hast du mich zuletzt mit ihm gesehen, das wolltest du sagen, habe ich recht?«
Sie nickt. Ich wusste es. Und wahrscheinlich hat sie recht. Tucker hat mich schon damals glücklich gemacht, aber dieser Traum, nach New York zu gehen, war größer.
»Ja.« Ich nicke langsam. »Du hast recht. In allem. Und ich bin glücklich.«
»Gut.« Sie streicht über meine Hand. »Du hast es verdient.«
Es sticht. Weil ich mir selbst nicht erlaube, das zu denken. »Habe ich das?«
»Ja. Das hast du.« Ihr Ausdruck ist ernst. Sie meint es wirklich, und vielleicht sollte ich es auch glauben.
Als ich in der Galerie nicht mehr gebraucht werde, breche ich auf zum Festivalplatz. Nicht, weil ich helfen will, das würde mein Knie noch nicht zulassen. Es ist noch geschwollen und ich muss es schonen. Sondern weil ich Tucker sehen will. Und vielleicht … vielleicht will ich ihm auch beweisen, dass ich es ernst meine. Mit ihm. Mit uns. Dass ich wirklich bleiben will.
Schon von Weitem sehe ich, wie voll auf dem Platz ist. Alle, die eine Hütte oder einen Stand auf dem Festival haben, sind da und helfen, alles wieder herzurichten und den Schnee wegzuräumen, damit die Besucher auch überall hinkommen.
Tucker ist auch da. Ich sehe ihn in der Ferne, wie er mit Tom und anderen an einer Hütte arbeitet. Er lacht und mein Herz macht einen Sprung. Er wirkt so gelöst und glücklich, wie ich ihn sonst eher nie gesehen habe.
Ich will am liebsten direkt zu ihm gehen, aber dann entdecke ich etwas: den Wunschbaum. Die Sterne von den Kindern wurden alle dort aufgehängt. Ein Glück, dass er ihn einer halb offenen Hütte steht und den Sturm gut überstanden hat.
Jetzt flattern die Sterne im leichten Wind und glitzern in der Sonne, wenn ein paar ihrer Strahlen sie erwischen. Nicht nur Kinder können hier ihre Wünsche aufhängen, auch Erwachsene. Ich weiß, dass mein Schneewunsch irgendwo in den Ästen baumelt, aber ich möchte einen weiteren Wunsch aussprechen – meinen wahren Wunsch.
Ich gehe näher heran und lese ein paar der Sterne, die nicht mehr so eng zusammengefaltet sind.
Mama soll wieder gesund werden.
Einen Hund.
Einen Bruder.
Dass ich den Mut finde, neu anzufangen.
Das erinnert mich an mich.
Hier hängen so viele Träume und Hoffnungen. Und auf einmal bin ich mir sicher, dass ich es tun muss.
In einer Ecke des Standes liegen fertige Sterne und Stifte. Ich nehme mir je eines davon, stelle mich vor den Baum und überlege. Ich weiß, was ich mir wünsche, aber ich finde nicht die richtigen Worte, um es zu formulieren.
Dass ich bleibe?
Dass Tucker mir vertraut und wir eine Zukunft haben?
Der Wunsch, den ich eben gelesen habe, fällt mir ein. Er inspiriert mich, und so schreibe ich: Dass ich mutig genug bin, zu bleiben.
Ich lese es noch einmal und nicke. Das ist es. Es ist richtig.
Als ich den Stern zusammengefaltet habe, hänge ich ihn an einen der Äste und sehe zu, wie er sanft hin und herschaukelt.
»Lila?«
Ich drehe mich um und ein kleines Mädchen, vielleicht sechs oder sieben Jahre alt, steht da, sieht mich neugierig an. Sie war beim Basteln dabei, ich erkenne sie wieder. Wie war noch ihr Name? Es fällt mir nicht mehr ein.
»Hi«, sage ich.
»Dein Schneewunsch ist in Erfüllung gegangen«, sagt sie und grinst. Dabei entdecke ich eine große Zahnlücke, die sie vor ein paar Tagen noch nicht hatte. »Was hast du dir dieses Mal gewünscht?«
»Das ist ein Geheimnis. Damit es auch wahr wird.«
»Aber der Schneewunsch ist doch auch wahr geworden.«
Ich lache. »Da hast du recht. Aber der Wunsch ist dieses Mal noch ein bisschen wichtiger als Schnee, weißt du.«
»Ach so.« Sie nickt ernst. »Ich habe mir gewünscht, dass meine Oma zu Weihnachten kommt.«
»Das ist aber ein schöner Wünsch.«
»Ja.« Sie lächelt. »Glaubst du, dass Wünsche wahr werden?«
»Aber natürlich. Mein Schneewunsch wurde doch auch erfüllt, oder nicht?«
Sie nickt, winkt mir zu und hüpft dann fröhlich davon.
Ich sehe zu dem Baum mit seinen vielen bunten Sternen, die so viele Wünsche enthalten.
»Ich hoffe es«, murmele ich und bleibe stehen, um den Sternen dabei zuzusehen, wie der Wind sie in den Ästen zum Tanzen bringt.
»Bitte, bitte, lass meinen Wunsch wahr werden.«
»Lila!«
Ich drehe mich um und sehe Tucker auf mich zukommen. Sofort ist das Lächeln wieder da, das mich schon den ganzen Tag begleitet hat. Er hat Schnee auf seiner Jacke und auf seiner Mütze. Er sieht sehr müde aus, aber glücklich. So wie ich.
»Hi.« Ich gehe ihm entgegen.
»Hi.« Er bleibt vor mir stehen und ich wünsche mir nichts mehr, als dass er mich in seine Arme nimmt und küsst. Aber er tut es nicht. Wahrscheinlich wegen all der Leute. Es sticht, aber ich kann es auch verstehen. Was, wenn es alle wissen und ich gehe dann? Sie würden nur Mitleid mit ihm haben, weil er zweimal von mir verlassen wurde. »Was machst du hier?«, fragt er.
»Ich … ich wollte dich sehen.« Ich bin ehrlich, auch wenn es mir nicht leichtfällt. Aber ich will ihm zeigen, dass er mir wichtig ist.
»Wirklich?« Seine Augen leuchten.
»Ja.« Ich trete noch näher an ihn heran. »Und ich wollte … das hier machen.« Ich zeige auf den Wunschbaum. Tucker folgt meinem Blick, ehe er mich wieder ansieht.
»Was hast du dir gewünscht?«
»Das ist ein Geheimnis.«
Er lacht und legt dabei kurz den Kopf in den Nacken. »Natürlich.«
»Aber … vielleicht verrate ich es dir später.«
»Später?«
»Wenn ich bereit dafür bin«, gestehe ich ihm.
Er sieht mich an, aber jetzt liegt ein ernster Ausdruck in seinen Gesichtszügen.
»Lila, du musst mir nichts beweisen.«
»Ich weiß. Aber ich will es.« Ich greife nach seiner Hand. »Ich will dir zeigen, dass ich es ernst meine. Dass ich … dass ich diesmal bleibe. Du hast es verdient.«
Sein Blick wird weicher. »Das glaube ich dir, Lila.«
»Wirklich?«
»Ja.«
Tränen schießen mir in die Augen, weil ich nicht glauben kann, dass er mir verziehen hat und mir vertraut.
»Danke, Tucker.«
Endlich zieht er mich in eine Umarmung. Eine, die so viel mehr ist als nur Freundschaft. Sie ist ein Versprechen, voller Liebe, Hoffnung und Zukunft.
Ich schließe die Augen und atme ihn ein. Er riecht nach Sicherheit. Nach Holz, Schnee und Tucker. Meinem Tucker.
Ich verbringe den Abend bei Tucker, auch wenn heute die Hütten noch geschlossen bleiben. Morgen wird das Festival wieder aufmachen. Es war einfach zu viel Arbeit, aber es sieht so aus, als wäre das Schlimmste geschafft. Als der Platz sich leert und alle Helfer nach Hause gehen, schlendern wir noch einmal am Wunschbaum vorbei.
Ich bleibe stehen und Tucker ebenfalls.
»Denkst du, dass Wünsche wahr werden?«, stelle ich ihm die Frage, die das Mädchen mir heute auch schon gestellt hat.
Tucker sieht mich an, mustert mich, als würde er die Antwort in meinem Gesicht finden.
»Ich denke, dass manche Wünsche wahr werden, aber man muss dafür kämpfen.«
»Und wenn einem seine Wünsche Angst machen?«
»Dann kämpft man erst recht.«
Ich nicke. »Okay.«
»Okay?«
»Ja. Ich werde kämpfen. Für uns.«
Er lächelt und nimmt meine Hand in seine. Drückt sie sanft. »Ich auch.«
Auf dem Weg nach Hause ist mein Herz leicht. Er hat mich noch einmal geküsst, bevor sich unsere Wege getrennt haben, und ich will nie mehr aufhören, ihn zu küssen. Mein Knie schmerzt, aber es ist mir egal. Der Tag heute war so wertvoll.
Ich habe einen Wunsch aufgehängt und Tucker gezeigt, dass ich da bin. Seine Umarmungen und Küsse genossen. Ich bin sicher, dass Wünsche wahr werden können.
Es sind noch 7 Tage bis Weihnachten und ich frage mich, ob meine Deadline nicht eigentlich schon gar keine mehr ist.
Ich habe mich entschieden, oder? In New York habe ich keine Perspektive mehr. Sie werden mich schon längst vergessen haben nach den Feiertagen. Es gibt nichts, was mich dort noch hält.
Aber irgendwie ist diese Frist auch wichtig. Weil ich Tucker zeigen will, dass ich es ernst meine.
Ich bin hier.
Ich bleibe.
Lila weiß, was sie will. Oder? Es wird spannend. Denn eigentlich braucht sie die Deadline nicht mehr, aber es hilft ihr, sich zu fokussieren. Eigentlich könnte alles gut sein, aber irgendwas ist da noch. Liegt in der Luft, wie die Spannung vor einem Gewitter …
Bleibt dabei und rockt mit mir durch diese Geschichte, meine Rockeronies
eure